Die Innsbrucker Nachrichten berichten in der Ausgabe vom 11. Juli 1930 über die neu eröffnete Postkraftwagenlinie ins Halltal.
Immer dichter spannt sich das Netz der staatlichen Postkraftwagenlinien über unser Land und entsendet immer wieder neue Linien in die entlegensten, tiefsten und höchsten Täler, sie mit dem mächtigen Strom des allgemeinen Verkehres verbindend. So sind erst in jüngster Zeit wieder zwei wichtige Täler Tirols in den regelmäßigen Verkehr einbezogen worden, das Sellraintal und das Halltal.
Von der Salinenstadt Hall aus, die in ihrem reizvollen architektonischen Bild mit Recht den Ehrennamen des „tirolischen Nürnberg“ führt und die erst jüngst durch die Eröffnung des neuen, den modernsten Bedürfnissen entsprechenden Kurmittelhauses, des Solbades, in die Reihe der österreichischen Kurorte eingetreten ist, leitet das romantische Halltal empor in die Felsenwildnis des Bettelwurfs und bildet den Ausgangspunkt zahlreicher, wundervoller, hochalpiner Wanderungen und Besteigungen. Bisher musste der Freund dieses herrlichen Gebietes zu Fuß zweieinhalb bis drei Stunden die alte Salzbergstraße emporsteigen, ehe er in den Bereich der Herrenhäuser, der Bettelwurfhütte, des Lafatscherjoches, des Törls und anderer Übergänge gelangte. Nun ermöglichen das täglich viermal verkehrende Postauto eine außerordentliche Erleichterung, eine Verkürzung des Weges um mindestens zwei Stunden, so dass von nun an der Touristenverkehr in das prächtige Bettelwurfgebiet und seine Ausläufer sicherliche neue kräftige Impulse erhalten wird.
Am Mittwoch, den 9. d. M. (Anmerkung: 09.07.1930) fand eine Pressefahrt auf der neueröffneten Postkraftwagenlinie statt, die in ihrem glänzenden Verlauf die Vorzüge der neuen Strecke und die hervorragende technische Leistungsfähigkeit des Postautos in helles Licht rückte. Um 2.30 Uhr nachmittags fuhren wir vom unteren Stadtplatz in Hall ab. Der große vollbesetzte Saurerwagen durchfuhr die ansteigenden Stadtstraßen, hielt beim neuen Solbad und gewann dann spielend den Eingang ins Halltal, dessen waldbeschattete, von den gigantischen grauen Felswänden des Bettelwurfs und der Speckkarspitze überragte Einsamkeit uns bald umfing.
Vorbei an der uralten Bergerkapelle, dem Grenzzeichen der anno 1325 erfolgten Salzbergfreiung, strebten wir dem berüchtigten steilen Bettelwurfeck zu, bei dessen Bewältigung unser Wagen sein eigens für diese Strecke eingebautes Getriebe sich zuerst bewährte. Aber es kam noch ärger; vorbei an der oberen Ladhütte, von der der Weg zur Bettelwurfhütte abzweigt und sich in den bekannten steilen, sonnenheißen Serpentinen in schwindelnde Höhe emporschraubt, braust unser Motor, das gastliche St. Magdalena zur Höhe links kaum grüßend, dem Endziel unserer Fahrt, den Herrenhäusern zu. Doch vorher sind noch einige scharfe Serpentinen von unheimlicher Steilheit zu überwinden. Staunend sehen wir, dass der wackere Saurer ohne jede Stockung langsam und doch unaufhaltsam die Steigungen nimmt und in kaum 50 Minuten eine Strecke von 9,5 Kilometer zurückgelegt hat. Was dies aber bedeutet, erkennt man erst aus der Höhendifferenz von zirka 1000 Meter, die bei einer Höchststeigung von 32 Prozent in tadelloser Fahrt ohne jede Stockung oder Hemmung überwunden wurde. In der Regel fährt der Wagen noch über die Herrenhäuser hinaus bis zu dem zirka 150 Meter darüber gelegenen Mitterberg, wo ein schlichtes Bergsteigergasthaus eingerichtet und demnächst eröffnet werden soll.
Von dort aus lassen sich eine Reihe prächtiger alpiner Wanderungen unternehmen; zunächst ist von hier aus, da ja die Höhe bereits größtenteils erreicht ist, die Bettelwurfhütte bedeutend bequemer zugänglich, als vom Bettelwurfeck aus; man wandert über das Lafatscherjoch in zirka 2 1/2 Stunden bis zur Hütte, so dass er Weg vom Tal aus fast um drei Stunden verkürzt ist. Weitere Ausflüge führen zum Issanger, Hallerangerhaus, über die Birkkarspitze ins Karwendel usw.
Die Pfeis ist über das Stempeljoch bequem zu erreichen; besonders schön wird diese Höhenwanderung werden, wenn einmal der Höhenweg vom Hafelekar bis in die Pfeis fertiggestellt ist, so dass die Strecke Hafelekar – Pfeis – Herrenhäuser – Hall sich leicht verbinden lässt. Eine besonderer Anziehung für einheimische Bergfreunde dürfte die neue Postautolinie ins Halltal gewinnen als Übergang über das Törl zur Kaisersäule, wenn einmal der Talweg von der Kaisersäule über die Thaurer Alm vom Alpenvereinszweig Innsbruck besser instand gesetzt wird, eine schon längst erkannte Notwendigkeit.
Wir begnügen uns vorläufig allerdings nur mit der theoretischen Erörterung diesre verlockenden Höhenwanderungen, denn bald auch nach der Ankunft in den Herrenhäuserm nahm uns der dunkle Schlund des König-Max-Stollen auf, durch den wir, geführt von Bergingenieur Münzer, das Haller Salzbergwerk durchwanderten und den Naturreichtum bewunderten, dem die Salinenstadt ihre Entstehung und ihr Aufblühen in früheren Jahrhunderten zu verdanken hatte. Salz gäbe es auch heute noch übergenug in den mächtigen Adern des Berges, aber es fehlt an Absatz in unserem verstümmelten Staatm so dass die Salzgewinnung durch Auslaugung des salzhältigen Gesteins eingeschränkt ist. Trotzdem nahmen uns die Wunder des Bergbaus gefangen, wir tappten, den flackernden Grubenlichtern nach, kilometerweit in das Innere des Berges, stiegen unzählige Treppenstufen in die Tiefe, um sie dann wieder langsamer heraufzuklettern, besichtigten den großen Salzsee mit dem elektrisch schimmernden „Glückauf“ und stolperten über die rötlichen kristallisch schimmernden Salzbrocken. Endlich gelangten wir, gebückt unter drohender Hochspannungsleitung, aus einem engen Querschacht wieder ans Tageslicht.
Droben in dem von Biedermeierstimmung erfüllten Kommissionssaal des Herrenhauses bot das Landesverkehrsamt seinen Gästen einen schmackhaften Imbiss, der durch die entzückende Sölerschau auf die greifbar nahe Hochgebirgswelt eine besondere Ergänzung empfing. Der Leiter des Landesverkehrsamtes Ing. Radetzky legte in kurzen Worten die witschaftliche Bedeutung der neueröffneten Postautolinie dar, die Hall, das Halltal und seine Berge dem Fremdenverkehr besser erschließen soll und die auch dem altehrwürdigen interessanten Haller Salzbergwerk viele neue Freunde und Besucher gewinnen will. Der Redner betonte mit besonderem Nachdruck die Bedeutung der Autobusverbindung für den Alpinismus und für die Erschließung des Karwendels vom Inntal aus. Mit Worten des Dankes an die Generaldirektion der Salinenverwaltung, besonders Generaldirektor Badhaus, Hofrat Grießenböck und Ing. Münzer entbot der neuen Postautolinie, der steilsten in Österreich, ein herzhaftes „Glückauf“.
Die Talfahrt erwies aufs neue die nicht mehr zu übertreffende Verkehrssicherheit des Saurerwagens, dessen Motorbremsen die gefährlichsten Stellen unterhalb der Herrenhäuser und am Bettelwurfeck ebenso einwandfrei bewältigen, wie der Motor diese steile Wegfahrt. Alle Teilnehmer dieser Eröffnungsfahrt schieden mit den besten Eindrücken vom Halltal, das sicherlich einer neuen Epoche lebhaften Verkehres entgegengeht.
Alle Bilder: Gemeindearchiv Absam