Dr. Agnes Larcher war vor 50 Jahren Vertragslehrerin an der Hauptschule Absam.
Weil sie am 4. Juni 1973 mit ihrer 4. Klasse – einer reinen Mädchenklasse – die beiden Theaterstücke Stallerhof von Franz Xaver Kroetz lesen und anschließend die Themen Sexualität, Behinderung, Gewalt gegen Frauen u. ä. mit der Klasse diskutieren wollte, war sie innerhalb von zwei Tagen ihre Arbeit los und am 6. Juni 1973 aus dem Schuldienst entlassen.
Vom Landtag bis zum Bischof reichte die Entlassungsfront.
Der »Fall Larcher« beschäftigte damals noch Monate die Tiroler, dann die österreichische und schließlich die gesamte deutschsprachige Öffentlichkeit (ORF, Die Presse, Der Spiegel, Die Zeit u.v.m. berichteten), ging es doch im Kern um die Frage: Wie viel Platz darf die Realität (Behinderung, Sexualität, Zeitgenössiche Literatur) im Schulunterricht bekommen?
Nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Land Tirol fand Agnes Larcher eine Stelle an einer Bundesschule in Hall.
In der Auseinandersetzung mit den Tiroler Schulbehörden haben vor allem Oswald Oberhuber, Paul Flora und Karl Rahner für Agnes Larcher Partei ergriffen. Hellmuth Karasek hat in Die Zeit über den Fall Larcher berichtet.
Fünf Jahre nach ihrem Schulprojekt in Absam initiierte sie 1978 erneut eine von ihren Schülerinnen und Schülern in Hall getragene Studie, die sich nur 40 Jahre nach dem so genannten »Anschluss« im März 1938 mit einem bis dahin nicht nur in der Tiroler Kleinstadt tabuisierten Thema beschäftigte.
In drei Monaten erarbeitete die 3. Klasse der Bundes- Handelsakademie Hall in Tirol eine »Untersuchung zur Haller Widerstandsbewegung zwischen 1938 – 1945«.
In dieser Pionierstudie findet sich u. a. das erste und einzige Gespräch mit der zentralen Figur der erst Jahrzehnte später zu Bekanntheit gekommenen Deserteure vom Vomperloch. Dr. Agnes Larcher konnte dabei auf Erfahrungen zurückgreifen, die sie schon Jahre zuvor mit Schülerinnen in Absam gemacht hatte, als sie mit einer Klasse die Jugendzeitschrift BRAVO medienkritisch untersuchte.
Doch auch den Schritt aus dem Schulalltag hinaus an die Öffentlichkeit – 1978 stellte ihre Klasse »Fragen an Haller Bürger über die Widerstandsbewegung in Hall und über die Ereignisse in den letzten Kriegstagen« – scheute Agnes Larcher nicht. Mit Flugblättern, Plakaten, Zeitungsartikeln und Leserbriefen war eine ihrer Absamer Klassen 1972 bemüht, ein ganzes Dorf auf die Probleme der Umweltverschmutzung und der illegalen Müllentsorgung aufmerksam zu machen – inklusive einer Müllsammelaktion einer Hauptschulklasse.
Podcasts
Podcasts des Gemeindemuseums Absam zum »Fall Larcher«
Der Fall Larcher
Tiroler Schul- und Kulturskandal
Kurzfristig obsiegte die Willkür
Agnes Larcher und Tirol 1973
Dr. Agnes Larcher Preis 2024
In Erinnerung an den Mut und das Engagement von Dr. Agnes Larcher schreibt das „Dr. Agnes Larcher – Preis – Komitee“ – eine Gruppe von Pädagoginnen und Pädagogen, die aufgrund jahrzehntelanger Praxis mit dem Tiroler Schulalltag vertraut ist, den Dr. Agnes Larcher-Preis aus.
Wenn man sich mit Larchers Biografie beschäftigt, ist ihr Feminismus sicher ein Eckpunkt in all ihren Aktivitäten gewesen, hat sie doch immer wieder vor allem Mädchen dazu motiviert, jenseits unverrückbar erscheinender Rollenbilder aktiv zu werden.
Zahlreichen ihrer ehemaligen Schülerinnen ist gerade dieser Aspekt ihres Unterrichts in Erinnerung geblieben.
Eine Schülerin hat es so ausgedrückt: »Wir wussten gar nicht, was wir erreichen können.«
Dieser Preis soll daher Tiroler Schülerinnen und Schüler dazu motivieren, sich mit Feminismus – ob in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft – auseinanderzusetzen.